An meinem Tisch sitzt ein Kerl, den meine Oma „ene Bär“, alternativ einen „Keäl wie ene Boum“ oder auch „Wagges“ genannt hätte.
Er ist groß, er ist dick, er hat keine Haare auf dem Kopf, dafür aber umso mehr im Gesicht. Er hat bunt bemalte und wirklich gewaltige Unterarme, die andernmenschs auch als Oberschenkel durchgingen, so wuchtig sind sie. Man kann die gepiekste Kunst in aller Herrlichkeit sehen, weil er die Ärmel seines Kapuzenshirts hochgekrempelt hat. Am linken Arm wird ein Lederarmband von einem Schlangenkopfschloss gehalten, rechts trägt er eine Uhr, so groß, dass sie auch an jeder Bürowand auffallen würde.
Er sitzt an meinem Tisch, mir also genau gegenüber und wir zwei und all die anderen Leute fahren gerade im ICE von der verbotenen Stadt (Düsseldorf) in Richtung Hannover. Mein Nachbar hört Heavymetalkram, ich kann das sagen, weil ich es ja höre, es schallt aus seinem Kopfhörerset, das sich über ein dünnes weißes Kabel irgendwo oberhalb des Halses einen Weg in den Kopf sucht. Und keiner sagt ihm, dass die Musik zu laut ist. Keiner hier ist lebensmüde.
Dazu schnaubt er, atmet immer wieder tief durch, stöhnt, sagt Sachen wie „eijeieijei“ oder „verdammte Kacke“, sowas eben, denn das Spiel auf dem Smartphone, das er jetzt schon seit einer guten Stunde mit seinen beiden wuchtigen Daumen behämmert, scheint nicht sein Freund zu sein.
Da schon wieder, er seufzt und hackt weiter auf das arme Gerätlein ein, das in seinen Pranken versinkt. So wie dieses Telefon hat sich die weiße Frau in den Pranken von Kingkong gefühlt, jede Wette. Und immer wenn der linke Daumen aufs Glas trommelt, hüpft ein Muskel am Unterarm auf und ab. Und oberhalb des Muskels ist ein Grabstein in die Haut geritzt, der dadurch ordentlich wackelt.
Und das alles – und ein kleines bisschen mehr – inspiriert mich nun zu diesen Zeilen, die ich gerade so schreibe, während er so hämmert und schnaubt. Was ist das? Mit einem Mal hört er auf und guckt mich an. Lang und tief. Ups. Das also ist der Kloß, von dem sie gerne erzählen, der da mit einem Mal im Halse steckt!
Er legt das Handy beiseite, setzt die Kopfhörer ab. Ich höre auf, diese Geschichte zu schreiben, höre auf zu atmen und denke kurz an meine Kinder, an meine Frau und an das, was wohl aus ihnen werden wird. Er tippt auf die Zeitung, die links neben meiner Tastatur liegt.
Und dann spricht der Berg: „Aachen?“ – „Mhm.“ – „Alemannia Aachen. Cooler Klub.“ – „Och jo, die einen sagen so, die anderen so.“ – „Wird schon wieder!“ Wir lächeln uns an. Darauf können wir uns einigen.
Er setzt die Kopfhörer auf, nimmt das Handy und hackt und trommelt, er atmet tief durch.
Der freundliche Mann, der an meinem Tisch sitzt.
buettgens sagt:
So ist das, Hanyo. Weg mit den Vorurteilen auf den ersten Blick!
11. März 2013 — 20:32
Hanyorilla sagt:
Mein Lieber,
so manches mal, wenn ich als erster aus unserem Moppedclub auf einem Treffen ankam, und diverse Menschen nach dem Schema „groß, breit“ oder wahlweise „groß, quadratisch“ um mich herumstanden, habe ich mir die Frage gestellt: Warum bin ich hier?
Und dann, nach der ersten Frage nach dem Motorrad, oder wahlweise „willstenenbier“, wurde mir wieder klar: hey, alles wird gut.
Und bei den Motorradtreffen wurde es auch gut.
9. März 2013 — 21:23
Philip Westphal sagt:
Gutes Ding, Danke.
8. März 2013 — 16:22
King Madness sagt:
Klasse geschrieben 🙂
7. März 2013 — 11:54
Stefan Hansen sagt:
Lieber Bernd, traumhafte Geschichte! Vor allem so plastisch erzählt, dass man das fast fühlen kann! Vor allem die Musik: „Dashn dashn dashn dashn dashn dashn Toooood!“
Hoffe, Du kommst heil wieder, scheinst ja bei ihm im Amnestieprogramm gelandet zu sein!
Gute Reise
Stefan
7. März 2013 — 9:58