Wer lesen kann, soll lesen: zum Beispiel im Netz über das St. Oberholz. Die aus dem württembergischen Oberderdingen zugezogenen Brüder August und Carl Aschinger eröffneten zwischen 1892 und 1915 rund 30 Bierlokale und 15 Konditoreien in Berlin.
Eins davon – eben das besagte – erwarben sie 1895, ließen es im darauf folgenden Jahr abreißen und eröffneten im Neubau 1898 ihre 9. Bierquelle. Hier trafen sich Berliner aller Bevölkerungsschichten – um die Jahrhundertwende bis in die Zwanziger Jahre hinein – um einfache, preiswerte Speisen und Bier zu konsumieren.
Historisches Bild des Café Aschinger am Rosenthaler Platz in Berlin von der Homepage www.sanktoberholz.de
Und jetzt kommt’s und dafür liebe ich es, hier zu sitzen: Das urige Lokal am Rosenthaler Platz war in den Zwanziger Jahren Treffpunkt der Kunst- und Kulturszene Berlins: Alfred Döblin erwähnt es auf der ersten Seite seines Romans Berlin Alexanderplatz und lässt mehrere Szenen darin und davor spielen. Oes!
Nur, Alfred Döblin würde die „9. Bierquelle“ oder das „Aschinger“ – wie es damals wohl hieß – nicht wiedererkennen. Ein Hort der Kommunikation ist der Laden nach wie vor. Aber das St. Oberholz ist megabekannt dafür, Austragungsort der modernsten Form der Kommunikation zu sein, von der mein Freund Peter immer sagt, dass sie einsam mache.
Jetzt, wo ich die Leute um mich herum gebannt und stumm vor den Bildschirmen sitzen sehe – hier gibt es freies WLan für alle! -, kann ich Peters These nicht mehr so brüsk abweisen, wie ich das sonst tue.
Mit wem stehen die Heavyuser in Kontakt? In welchen Sphären schweben sie gerade? Also, nicht alle – das habe ich mit einem Kontrolettiblick auf die Bildschirme mal geprüft – schauen auf 7uhr15.ac. Um ehrlich zu sein, ich glaube, dass ich diese Anwendung sogar exklusiv habe. Aber was machen sie dann? Sie surfen auf den weiten Wellen der digitalen Meere.
Mein Gott, warum quatschen die beiden neben mir so laut?! Er wird es nie schnallen. Junge, die Frau findet dich vielleicht okay, aber das war’s. Sie hat gerade gefragt, was deine Kinder so machen. Hallo!
St. Oberholz in Berlin. Man muss mal drin gewesen sein. Optisch wie akustisch interessant. Kaffee sehr gut, die Latte Macchiato mit doppeltem Espresso perfekt, die Tarte au citron ein Gedicht.
Aber Kaffeehäuser, in denen völlig ursprüngliche Gepflogenheiten kultiviert werden – also Gespräche an allen Tischen, Geräuschpegel gemäßigt und doch hoch, Café Mohren, Lammerskötter, Café Liège im Heimatort jetzt zum Beispiel -, bleiben auf meiner Liste oben. Man spricht, man redet, man lacht. Und hört vor allem nicht, was die Nachbarn brabbeln.
Sie redet gerade über die anstehenden Abiturprüfungen in Sozialwissenschaften. Er schweigt, reibt sich die Augen. Hat er es endlich kapiert?
Seiten: 12