Das Aachen-Blog

Autor: buettgens (Seite 47 von 77)

Abhängigkeitserkrankung

„Bei vielen Fans sind während dieser vier Wochen die sonstigen Lebensaktivitäten sehr eingeschränkt. Das stellt ein Grundmerkmal einer Abhängigkeitserkrankung dar.“

Suchtexperte Michael Klein, Professor für Sozialpsychologie, Köln, zur Fußball-Abhängigkeit, ausgelöst durch die WM. (AZ, 30.6.10)

Ich denke, dass ich da nicht gefährdet bin. Gestern, den ersten spielfreien Tag bei der WM, habe ich an der frischen Luft verbracht. Frei in den Gedanken, keinesfalls vom Trieb gesteuert. Das Foto auf Seite 2 dient als Beweis für eine entspannt gestaltete Mittagspause, nach der auch der Professor gesagt hätte: Nein, Herr Büttgens, Sie haben alles im Griff!

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Der Saftprotz – einer wie wir!

Man hat uns in unserer Jugend, in der schweren, der armen, aber glücklichen Zeit viel versprochen. Und wir waren so naiv. Wir haben doch alles geglaubt! Ernst Huberty, Hans Joachim Rauschenbach und Holger Obermann erklärten uns den Fußball. Nur wer das erlebt hat, kann ermessen, was es bedeutet. Und was es mit jungen Menschen macht. Aber wir haben ihnen geglaubt.

Und von der Rückseite des Bergmann-WM-74-Albums strahlte einer, der sah aus wie wir. Und der war so phantastisch ausgestattet wie wir, mit Plastikball, viel zu kleiner Mütze und Mamas gelben Haushaltshandschuhen, auf die Oma ein paar rote Einmachgummifetzen geklebt hatte.

saftprotz

Ja, er war wie wir: der Saftprotz! Ihm haben wir auch jedes Wort geglaubt. Mein Gott.

Was haben meine Eltern in den noch von Kriegstrümmern gesäumten Aachener Gassen und Straßen gesucht, bis sie einen Frucade-Händler gefunden haben. Und was haben wir dann dieses Zeug in uns reingekippt!

Kein Wunder, bei diesen Aussichten: „Sein großes Ziel ist die Fußballweltmeisterschaft 1982“, stand da geschrieben. Das war auch mein Ziel. „Training, Training. Zwischendurch eine erfrischende Pause.“ Ich kam mir vor wie Olli Kahn – ohne ihn damals schon zu kennen. Und ich trank, klar: FRUCADE! Unsere ganze Mannschaft bei Rhenania Rothe Erde trank den Saft.

Letztes Zitat aus der Werbung: „Damit er durchhält bis 1982.“ Naja, zumindest das hat geklappt.

Frucade, das habe ich jetzt mal gegoogelt, gibt es noch. Bio-Edelmarke mit Qualitätskontrolle, mit Hingabe und lokaler Verwurzelung in Süddeutschland zu Hause, auch in Jogis Heimat, also im Schwarzwald, eine richtig starke Nummer.

Warum ich das alles erzähle? Am Ende hat der Trainer ein paar Kistchen für Südafrika einpacken lassen. Für richtige Saftprotze, die wo jeden Argentinier mit högschder Konzentration aus den Socken hauen.

Also, ich glaube ja an so etwas.

*** Ach übrigens, so sah das Bergmann WM-Album 1974 aus:

wm74

Wunderbar, mit Dino Zoff, mit dem Kaiser, mit Johan Cruyff und Rivelino vorne drauf. Und wie gesagt, mit dem Saftprotz, der so aussah wie wir, hinten.

Mit dem Fahrrad über die Marterstrecke

Mir ging gerade eine so schöne Geschichte fürs Blog durch den Kopf.

Jetzt ist sie weg.

Und die Schuld daran trägt der Volltrottel, der in Aachen solche Straßen baut:

viktoriastraße

Viktoriaallee, einmal mit dem Fahrrad von Herz Jesu runtergebrettert – und in deinem Kopf ist Wüste. Nix mehr drin. Nun mag da im einen oder anderen Fall kein großer Schaden entstehen, aber bei mir jetzt, wie gesagt, bei mir ging da gerade von rechts nach links, von oben nach unten so eine schöne Geschichte durch die Windungen. Rumms!

„Hatte ja eh wieder mit Fußball zu tun“, sagte meine Frau, als ich ihr davon erzählte, und es klang kein bisschen bedauernd, ja schmerzlindernd, ich meine sogar, eine Spur Erleichterung in den tieferliegenden Tönen gehört zu haben. Ejal.

Aber jetzt mal unter uns: Wer ist für solche Straßen im angeblich so fahrradfreundlichen Aachen, genauer im ach so fahrradfahreraffinen Frankenberger Viertel zuständig?

*** Was ist das? Das Ergebnis eines Praktikantenausflugs des städtischen Bauhofs? Eine Musterkollektion vom Hagebaumarkt, mach dein Ding oder genauer: Guck mal, was für unterschiedliche Straßenbeläge wir im Angebot haben? Schotter, Kies, Splitt, Teer, Beton, am besten von allem ein bisschen…

Ist es am Ende ein Überbleibsel des TV-Knallers „Aachen nach dem Krieg“? Das Resultat der Projektwoche in der Pfarre Herz Jesu, wo sich die Ü60-Frühschichtgruppe das Thema „Töpfern mit Teer“ ausgesucht hat?

Und guck mal, Viktoriaallee ein Stückchen weiter runter:

viktoriaallee

Hier schließt sich der Flickenteppich zu einer dann doch eher einheitlichen Buckelpiste. Der Teststreifen des Instituts für Kraftfahrwesens der RWTH? Die „Marterstrecke“, von der früher i-hi-hi-mm-mm-er samstags im WDR 2-Fahrtest gerüttelt und geschüttelt gesprochen wurde? Fahren Sie bitte vorsichtig. Immer!

Vielleicht ist das Ganze ein Gemeinschaftsprojekt des Frankenberger Viertels, das man sich – grundsätzlich und gruppendynamisch jetzt – beim Kunstrasenkauf in Kornelimünster abgeschaut hat. Wenn die Stadt schon nichts mehr zahlt, kaufen sich die Bürger für eine kleine Spende ein Stückchen Teerdecke – und irgendwann wird ne richtige Straße daraus.

Aber das wollte ich ja eigentlich alles gar nicht schreiben. Mensch, wie ging noch mal die Geschichte, die mir durch den Kopf ging, als ich…

Yes, we can!

Yes, we can! So hallt es durchs Land. Und hoppla, they can! durch die Fußball-Welt.

Zauberfußball, Tempofußball, kombinationsstark, ballsicher, aggressiv, präzise, ein Fest fürs Auge.

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Nehmen wir in der beliebten 1D-Spezialanalyse hier auf 7uhr15.ac als ein grandioses Beispiel deutscher Fußballkunst den Konter zum 3:1 in der 67. Minute:

Was mit einem phantastischen Seitenwechsel von Müller auf Schweinsteiger beginnt, von Schweinsteiger aufrecht, robust und zielstrebig nach einem Solo mit einem Zuckerpass fortgesetzt wird, vollendet Müller selbst mit einem beherzten Knaller ins kurze Eck.

Mehr davon, Jungs! Wir freuen uns auf Samstag. Maradona? Kommen lassen, sagt mein lieber Kollege Tom, der sich als FC-Fan wie Hulle über ein Prinz-Poldi-Tor freut. Auch an solchen Tagen können Bayern-Fans gönnen…

*** P.S., Achtung Schmunzelecke: Ich liebe die großen Geschichten, die nur der Fußball schreibt. Dieser Lattenknaller von Lampard! Also aus meiner Perspektive war der nicht drin. Genau so wie das Ding von Wembley ’66 nicht drin war…

*** Das Ding wird noch ein Hit! Singt mit mir ein kleines Lied:
:DD Hier der offizielle 7uhr15-WM-Song „Lass Schweini ran!“

4:1. Ohne Worte!

Eben, bei der 34. Korso-Runde im Kreisverkehr hier bei uns in Schleckheim schoss mir die Antwort auf die Frage – „was schreibst Du über dieses Spiel ins Blog?“ – in den Sinn.

Antwort: Nichts. Deshalb verheult und überglücklich nur das:

Ohne Worte!

Wo kuckste unwattippste? (4)

Philipp Lahm hat mich gestern ein bisschen geschockt, als er vom Spiel gegen England schwärmte, vom Badesee redete, vom Public Viewing, dann noch ein bisschen Grillen am Sonntagnachmittag…

Ich hab’s rausgefunden: Er meinte die Fans. Er und Jogis Löwen wollen dann doch auf dem Platz in Bloemfontein stehen und die „3 Lions“ zähmen.

Ich sag mal so: Das gelingt auch! Der negative Druck ist raus, jetzt können die Jungs doch nur noch gewinnen!

Deshalb die beiden Standardfragen vor jedem deutschen Spiel:

1) Wo kuckste?

2) Unwattippste?

*** Meine Antworten:

1) Zuhause mit der angestammten Aufstellung (Oma kommt auch!)

2) Deshalb: 2:0 – und der vielgescholtene Poldi trifft plus Schweini-Elfer.

Freu mich auf Eure Antworten in den Kommentaren oder unter buettgens@gmx.de

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Einer hat schon vorab aus Berlin geantwortet:

images„Helmutseinsohn“ schreibt: England liegt uns doch, und wenn wir das Fässchen vorne drin in den Griff kriegen, kann nicht viel anbrennen. Ich bin wieder im Schrebergarten und sage: 3:1

Im Großmutterland des Fußballs

Er steht da in seinem „3 lions shirt“ und ist sichtlich erleichtert, dass sein Team die Übermannschaft aus Slowenien nach Hause geschickt hat. „In meiner persönlichen All-Star Mannschaft stehen Njuer und Mörtesäker“, erklärt mir James zu meiner großen Überraschung. Und er zeigt Respekt und Anerkennung vor unseren Jungs aus der Rückhalteabteilung.

Gerade haben wir Ghana besiegt. Ort des Geschehens ist das „Star Inn“ in Woodstock/Oxfordshire – quasi im Herzen des Mutterlandes des Fußballs. Moment mal! Mutterland?

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7uhr15.ac-Chefreporter Olaf „oli Lindenau auf einer seiner sündhaft teuren Reportagereisen, hier im „Star Inn“ von Woodstock mit James, einem „3 Lions“-Fan.

Auf der Fahrt von Dover nach Oxford (ungefähr 230 km) sehe ich gerade mal acht Fähnchen an Autos, die auch noch auf der falschen Straßenseite fahren. Später entdecke ich noch ein Georgskreuz auf einer Fahrertür. Und keinen einzigen Außenspiegelbikini.

Da ist in „good old Oche“ ja schon mehr Begeisterung spürbar, wenn man sich nur schon von der Normaluhr bis zum Kaiserplatz bewegt. In den Pubs waren die Fernseher ausgeschaltet, kein „Rudelgucken“ ( wie das public viewing bei 1live heißt )und keine Autokorsos. Da befindet man sich doch wohl eher im Großmutterland des von uns so heiß geliebten Sports.

*** Und dann fragt der Typ neben dem Dicken, ob East- oder West-Germany 54 Weltmeister wurde!
England-Chefreportage geht weiter auf Seite 2

Oh Cannavaro, il capitano!

Die Jungens von der Pizzeria konnten gestern Abend nicht darüber lachen, als wir fünf „Pizza Slovakia mit alles“, einen „Insalata campione del mondo“ und sechs „Tiramisu Gattuso“ bestellt haben…

Und als der Jung vom Lieferservice, der Paolo, kam, bat einer von uns ihn auf die Terrasse – da lief dann zufällig der Nike-Werbespot. „Hör Paolo, setz dich ene Schlag, nur die ersten 46 Sekunden musste kucken!“

Drogba raus, Ribéry längst zuhause, Ronaldinho gar nicht erst dabei, ciao Cannavaro – und guckt mal, wer der nächste Held im Spot ist…

Die WM fängt an, Spaß zu machen.