Diesmal traf es den Torwart. Der den Kasten sauberhalten muss, der sich
keinen Fehlgriff leisten darf, der der Mannschaft ein Rückhalt sein soll.
Der Torwart kennt den Druck, er hält ihn aus! Schließlich weiß er, dass alle
zuschauen, ja, auf ihn bauen. Der Fels in der Brandung wankt nicht, hat
nicht zu wanken.

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Was aber, wenn der Torwart dem Druck nicht gewachsen ist?

Das Bild vom Torwart ist ein Sinnbild. Die Metapher. Der Profifußball, die
Heimat des Torwarts, ist wohl derzeit die heftigste Ausdrucksform einer
Gesellschaft, die die Leistung zum obersten Prinzip erkoren hat. Wochenende
für Wochenende, Mittwoch für Mittwoch, eigentlich Tag für Tag wird das
Kräftemessen von Siegern und Verlierern, von Heroen und Versagern
aufgeführt. Da gehen Teams „in Sack und Asche“, da wird „der Kopf des
Trainers“ gefordert, da „zerschellen Träume“ und „gehen Vereine unter“. Ein
„Spiel auf Leben und Tod“.

Jeder Fehler wird tausendfach seziert, in Zeitlupe und 3-D-Animation – wie
konnte das passieren? Ja, wie? Ein unfassbarer, ein unverzeihlicher
Fehlgriff!

Wer gewinnt, wer trifft und punktet, ist ein Held, ist wertvoll – das drückt
sich in fetten Schlagzeilen, fetten Jahresgehältern und fetten Ablösesummen
aus. Auch das erhöht den Druck. Ist schließlich kein Kindergeburtstag – und
auch nichts für Mädchen.

Der Profifußball spiegelt die Gesellschaft. Auch dort zählt in erster Linie
der Weg nach oben. Rauf auf die Erfolgsleiter!

Viel zu viele Menschen kommen nicht mehr mit, fallen durchs Rost. Die
Leistungsgesellschaft fordert ihren Tribut.

Und das fängt früh an. Wenn Kindern vor dem Schuleintritt der „Ernst des
Lebens“ angekündigt wird. Wenn das Notensystem der Schule die vermeintlich Guten von den vermeintlich Schlechten trennt, und Eltern ihren
sporttreibenden Nachwuchs vom Spielfeldrand anbrüllen, dass das „so
garantiert nie was wird“. Hier muss man schon die Frage stellen: Warum tickt diese Gesellschaft so?

„Zeit mal innezuhalten“ heißt es nach Ereignissen, die Wellen schlagen wie
der Tod des Torwarts Enke. Und alle stimmen zu. Um am nächsten Tag zu
fordern, dass die psychologische Unterstützung ausgebaut werden muss. Es
wäre auch eine Idee, das Grundprinzip unseres Lebens und Strebens zu
überdenken, um dort einzuhaken, wo es krank wird – und macht.

Erfolg – was ist das genau? Anerkennung – von wem möchten wir sie erfahren? Ruhm – gibt es etwas Vergänglicheres? Welchen Werten hängen wir nach? Wie anstrengend mag das sein, dieses Bild aufrechtzuerhalten, das Bild vom strahlenden Sieger?

(Bernd Büttgens/Druckausgabe Aachener Zeitung vom 13.11.09)

***Mehr lesen zum Thema Robert Enke:

Sehens- und nachdenkenswert: Der Sportphilosoph Gunther Gebauer im ZDF mit drei Thesen zum Profi-Fußball

Der kranke Sport (Süddeutsche Zeitung online)

Geschlagen im Spiel des Lebens (Spiegel online)

Tod eines Helden (Zeit online)